Expertensitzung Notaufnahme vom 16.04.2018
Als Resultat dieses Gespräches entstand folgender Text:
Memorandum: Kommunikation in Notaufnahmen
Zentrale Notfallaufnahmen in Krankenhäusern (ZNA) stehen wegen zahlreicher Probleme im Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit.
Der Pflege e.V. hat im April 2018 ExpertInnen zu einem Gespräch an die Universität Witten/Herdecke eingeladen, aus dem dieses Memorandum entstanden ist. Im Wesentlichen geht es dem Pflege e.V. um die Verbesserung der Kommunikation und eines guten menschlichen Umgangs in diesen schwierigen Situationen.
Wir möchten erreichen, dass die Hilfesuchenden:
- freundlich und persönlich angesprochen werden
- Informationen über die aktuellen Wartezeiten (mit Begründung) erhalten
- Angebote zur Überbrückung finden (Getränke, Lesematerial u. ä.)
- verletzliche und gebrechliche Menschen, Kinder usw. besonders empfangen werden.
Daneben sind uns eine rasche Ersteinschätzung und eine angenehme Umgebung mit Sitzgelegenheiten, Farbgebung und ein Lichtkonzept wichtig. Im Expertengespräch waren sich alle darüber einig, dass die Probleme sich zuspitzen und es enormen Entwicklungsbedarf gibt: es geht z.B. um die personelle Besetzung, um die Räumlichkeiten, um Triage-Konzepte, um De-Eskalationsverfahren. In den letzten Jahren suchen vermehrt verunsicherte Menschen Notaufnahmen der Kliniken auf, eigentlich könnten sie durch andere Hilfssysteme aufgefangen werden. Notwendig ist hier eine Neustrukturierung zur Entlastung der Notaufnahmen (Portalpraxen u. ä.) – wie auch eine wiederkehrende Information der Bevölkerung durch lokale Medien über die Inanspruchnahme der Klinik-Notaufnahmen. Die Klientel besteht zunehmend aus alten und multimorbiden Menschen, daneben aber auch verwirrtem oder aggressiven Personen. Durch den hohen Arbeitsdruck bleiben dringliche Situationen, mit entsprechenden Folgen, unerkannt. Einige Maßnahmen könnten sofort umgesetzt werden und kosten kaum Zeit und Geld.
Einigkeit herrschte auch über die Unterbesetzung und Unterfinanzierung der Notaufnahmen, die ja eigentlich eine „Visitenkarte“ des Krankenhauses darstellen sollten – der Aufwand wird von den Kostenträgern nicht ausreichend refinanziert. Andererseits unterläuft die Belegungspolitik der Kliniken auch die Möglichkeiten der ZNA.
Die in Notaufnahmen Arbeitenden sollten eigentlich die „Besten“ ihres Faches sein, viele sind sehr engagiert, kommen aber oft an ihre Grenzen.
Gute Wahrnehmungsfähigkeit und Einfühlungsvermögen sind Voraussetzungen für diese Tätigkeit – die Leitungspersonen der ZNA müssen über hervorragende Kompetenzen verfügen und sollten professionell unterstützt werden. Aus diesem Grund soll mit diesem Memorandum den Pflegenden und ÄrztInnen nicht noch mehr abverlangt werden, im Gegenteil, genau diese Mitarbeitenden bedürfen der Solidarität von Politik und Gesellschaft. Seitens des ärztlichen Bereichs sollten ausgebildete Notfallmediziner ständig anwesend sein, für Pflegende wird eine Fachweiterbildung gefordert. Durch permanente Überlastung der Mitarbeitenden meiden diese das häufige Betreten der Wartebereiche – evtl. könnte hier der Einsatz von Servicekräften hilfreich sein.
In der Expertendiskussion wurden zahlreiche, auch kleinere, Verbesserungsmöglichkeiten genannt:
Information und Orientierung der Hilfesuchenden verbessern,
Durch verständliche und informierende Poster und Filme lassen sich schon viele Informationen in der Notaufnahme multiplizieren, mehrsprachige Beispiele liegen vor – nicht gemeint sind Werbevideos der Kliniken. Dazu könnte auch geeignetes Film- und Aufklärungsmaterial zentral entwickelt werden. Vorstellbar wären auch Info-Apps für die Nutzer, durchaus mit der Chance, den Wartebereich zu verlassen – selbst „Pizza-Pager“ können für Entlastung sorgen. Das Notfall-Team sollte regelmäßig geschult werden, um sensibel für Kommunikation zu bleiben, eine Besprechungskultur, Supervisionen, überhaupt „Selbstpflege“ sind notwendig.
Wertschätzung der Arbeit in der ZNA
Die Klinikleitungen sollten wertschätzend auf das Aushängeschild ihres Hauses achten und deren Mitarbeitende kontinuierlich informieren. Monitoring und eine Fehlerkultur gehören dazu. In der Patientenannahme sollten bürokratische Fragen nicht das Klima dominieren.
Präsenz, Zuständigkeiten, Räume
Eine klare Zuständigkeit mit Rückmeldungen beruhigt Patienten und Angehörige und auch die häufige Präsenz der Mitarbeitenden hilft. Eine Bezugsperson des Patienten sollte den Behandlungsprozess begleiten dürfen und nicht heraus geschickt werden. Ein einziger unruhiger Patient kann eine ganze Gruppe Wartende zu vermehrter Aggressivität anstiften.
Oft lassen sich Räume nicht umwidmen, durch interne Gestaltung sollte es aber möglich sein, Klienten bei Bedarf zu separieren. Angenehme Räume, mit WLAN ausgestattet, sollten das Warten erleichtern. Eine Rezeption bietet zum Teil auch ballistische Schutzfunktion.
Zertifizierungen
Die Konzepte zur Zertifizierung von Notaufnahmen sind um diese Aspekte zu erweitern. Neben den medizinischen und pflegerischen Notwendigkeiten sind Aspekte der Patientenfreundlichkeit und der interdisziplinären Zusammenarbeit hervorzuheben. Eine gute Wirkung scheinen auch „Best-Practice-Beispiele“ zu haben, gut funktionierende ZNA sollten an die Öffentlichkeit treten und Preise erhalten. Anzuregen sind auch Peer-Review-Verfahren, gegenseitig zu hospitieren und sich zu beraten.
Insgesamt zeigt sich das Feld „Notaufnahmen“ auch als wichtiges Forschungsfeld, um die Probleme zu differenzieren und Lösungen auszuprobieren. In einer jüngeren Studie zum Thema „Warten“ wurde festgestellt, dass für die Hilfesuchenden eine rasche Erstsichtung (Triage durch Pflegende) wichtig ist. Auch durch dem bald folgenden Arztkontakt werden erleben und Wartezeit subjektiv positiver beurteilt. Aussagen der ZNA-Mitarbeitenden wie: „Moment“, „Augenblick“ oder „gleich“ sind zu vermeiden, denn diese Ankündigungen implizieren wenige Minuten und wecken falsche Erwartungen, die ggf. in Eskalationen münden. Bei längeren Wartezeiten muss kontinuierlich orientiert werden. Wichtig ist die Botschaft: „Wir haben Dich in Deiner Not wahrgenommen und kümmern uns um Dich“.
Expertenkreis dieses Memorandum
- Prof. Dr. Christel Bienstein, Vorsitzende Pflege e.V., Präsidentin DBfK*, Universität Witten/Herdecke (UWH)
- Prof. em. Dr. Gisela Brünner, Linguistin, Schwerpunkt Gesundheitskommunikation, Dortmund
- Bernd von Contzen, Pflege Leitung, ZNA, Uniklinik Düsseldorf
- Margot Dietz-Wittstock, M.Sc., Pflege-Leitung, ZNA, Flensburg, Vertreterin der DGINA*, Flensburg
- Johanna Gossens, MsCN, Med. Controlling, Klinikum-Lüdenscheid
- Oliver Gengenbach, Notfall-Seelsorger, Witten
- Matthias Grünewald, Pflegepädagoge, Bildungszentrum, Uniklinik Düsseldorf
- Natascha Isleib, Pflege-Leitung, ZNA, Städt. Klinikum Solingen
- Martin Meilwes, Berater, Gesellschaft für Risikoberatung, Detmold
- Dr. German Quernheim, Fachbuchautor, Trainer und Pflegewissenschaftler, Montabaur
- Dr. Patric Tralls, Chefarzt Zentrale Notfallambulanz, Städt. Klinikum Solingen, Vertreter der DIVI*
- Prof. Dr. Angelika Zegelin, Pflegewissenschaftlerin, Fachbeiratsvorsitzende Pflege e.V., vorm. UWH, Dortmund
- DBfK* – Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe
- DGINA*- Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall-und Akutmedizin
- DIVI* – Deutsche Vereinigung für Intensiv-und Notfallmedizin
Der Pflege e.V. ist ein kleiner Verein mit der Aufgabe, pflegewissenschaftliche Erkenntnisse in die Versorgungspraxis zu bringen (www.stiftung-pflege.de). Vorbild für diese Aktivität zu den Notfallaufnahmen ist ein überaus erfolgreiches Projekt zur Zertifizierung von angehörigenfreundlichen Intensivstationen (vereinbarte Besuchszeit jederzeit). In diesem Projekt sind in den letzten 10 Jahren über 250 Intensivstationen ausgezeichnet worden.
Ein weiteres umfangreiches und sehr erfolgreiches Projekt des Vereins ist die Herausgeberschaft der Zeitschrift „Angehörige pflegen“.
Aus der Expertendiskussion und dem obigen Memorandum wird der Pflege e.V. weitere Projektideen ziehen und Weiterentwicklungen anregen.